"Ich wurde verachtet und beschimpft!"

Beim Antirassismus-Training an deutschen Schulen müssen Schüler in die Rolle von Minderheiten schlüpfen. BamS-Redakteurin machte mit

Sie werden beschimpft - weil sie anders sind. Werden bespuckt, geschlagen, gejagt. Und getötet. Weil sie anders sind.

Was kann man gegen die alltägliche Diskriminierung, gegen Gewalt und Hass tun? Härtere Strafen, strengere Gesetze, gnadenlos durchgreifen? Eine Agentur aus dem hessischen Marburg versucht es mit anderen Methoden: Sie veranstaltet Rollenspiele, um die Barrieren in den Köpfen der Menschen zu durchbrechen.

Rollenspiele gegen brutale Gewalt? Klingt harmlos, uneffektiv, beinahe albern. Dachte auch BamS-Reporterin Nina Maurischat - bis sie selbst an so einem Anti-Rassismus-Training teilnahm. Ihr Bericht:

Mir ist kalt, ich spüre alle Knochen im Leib. Zusammengekauert muss ich auf dem Boden hocken. Seit 8 Uhr morgens bin ich nun in diesem hässlichen kleinen Raum der Regelschule in Gera gesperrt. Jetzt ist es bald 10 Uhr und ich weiß immer nicht, was das hier werden soll. "Antirassismus-Training", denke ich, "darunter habe ich mir etwas anderes vorgestellt." Ich betrachte meine Leidensgenossen - zwölf Hauptschüler der neunten Klasse, alle zwischen 14 und 16 Jahren alt. "Das ist wie im Knast hier", schimpft Steffi. Und Manuel regt sich auf: "Was soll das? Es ist doch gemein, Menschen nach der Augenfarbe zu unterscheiden. Die da drüben haben es bestimmt gemütlich und warm."

Die da drüben, das sind die Braunäugigen - die Guten. Sie sitzen nebenan im Klassenzimer. Wir, die Blauäugigen, sind der Abschaum. Jedenfalls behandelt man uns so. Nun hocken wir hier - zwei Stühle für dreizehn Leute - und wissen nicht, wie es weitergeht.

Diskriminierung am eigenen Leib zu erfahren ist das Konzept des Anti-Rassismus-Trainings, das der Marburger Politologe Jürgen Schlicher (33) mit seinem Team durchführt. "Rechtsextreme sind im Osten nicht häufiger, sie treten nur deutlicher auf", sagt er.

Wie deutlich, wird mir klar, als ich unseren "Blauaugen-Knast" betrete. Einige der Jungs haben sich Davidsterne an die Brust geheftet, auf denen "Deutscher" steht. "Mittlerweile werden Rechte in Deutschland verfolgt wie die Juden damals", behauptet Stephan auf meine Frage nach der Bedeutung des Sterns.

Endlich geht die Tür auf: "Los, mitkommen!", herrscht uns eine schwarz gekleidete Frau an. Wir dürfen ins Klassenzimmer, es ist warm hier, auf einem Tisch stehen Kekse und Cola. Die Braunäugigen sitzen am Rand, beobachten uns. Sie haben die Anweisung bekommen, uns abschätzend zu mustern, erfahre ich später. Wir müssen in der Mitte Platz nehmen. André setzt sich zu den Braunaugen. "Hab ich dir das erlaubt?", wird er angeherrscht. André schluckt und setzt sich auf den Boden. "So istīs gut, da gehört ihr Blauaugen auch hin!" Ich spüre Übelkeit in der Magengegend.

Dann müssen wir die Plakate vorlesen, die überall im Klassenzimmer hängen. "Blauäugige neigen verstärkt zur Kriminalität", steht da. Und: "Wenn sich Blauäugige nicht an unsere Regeln halten, verwirken sie ihr Gastrecht", "Blueyes nehmen uns die Ausbildungsplätze weg!"

Wir sind nervös, stotern beim Lesen. Wieder und wieder lässt uns der böse Mann in Schwarz unsere Sätze wiederholen. "Seht ihr", wendet er sich an die Braunaugen, "Blauäugige sind zu dum, um einen deutschen Satz vernünftig vorzulesen." Wut steigt in mir auf. Wut auf meine eigene Gruppe. "Warum halten wir nicht einfach gegen ihn zusammen?", frage ich mich und merke, dass ich gerade etwas gelernt habe: Nich jeder der schlecht behandelt wird, zeigt sich automatisch solidarisch.

Ich fühle mihc allein gelassen und hilflos. Noch nie im Leben wurde ich so beleidigt, unterdrückt und verachtet ...

Auch später, als die Stimme von Jürgen Schlicher versöhnlicher klingt und er die Schüler fragt: "Könnt ihr euch vorstellen, dass es Menschen in Deutschland gibt, die so behandelt werden?" Später erfahre ich, dass sie den Ausländeranteil in ihrer Stadt auf 46 Prozent geschätzt haben. In Wirklichkeit sind es gerade mal 1,2 Prozent!

"Wollt ihr wie ein Blauäugiger leben?", fragt Jürgen Schlicher in die Runde. Alle schütteln den Kopf. "Dann wünsche ich euch, dass es euch nie wieder im Leben so ergehen wird."

Ich wünsche mir das auch und mache mich auf den Weg nach Hause. Doch das dumpfe Gefühl in meinem Bauch lässt mich noch lange nicht los...