AUGEN-ÖFFNER: JANE ELLIOTTīS LERNÜBUNG GEGEN RASSISMUS

(aus der niederländischen Zeitschrift Contrast vom 28. 3. 1996)

Ihre Übung wurde durch die Oprah Winfrey Show im Jahr 1992 weltberühmt. Jane Elliott (62) stellte ihre "braunäugig/blauäugig"-Übung vor, ein Verhaltenstraining, welches weißen Menschen die Möglichkeit gibt, zu erfahren, was Vorurteile und Unterdrückung Menschen antut. Was passiert einem Menschen, wenn er plötzlich keine Macht mehr hat und (arbitrary) Diskriminierung ausgesetzt ist, nur, weil er blaue Augen hat. In der internationalen Woche gegen Rassismus kam Jane Elliott in die Niederlande. Mercita Coronel sprach mit ihr.

"Wer hat Dir gesagt, daß Du Dich hinsetzen sollst?" "Muß ich Dir alles einzeln buchstabieren? Hinsetzen!" Einer der Teilnehmer in Jane Elliott's Workshop ging bereits nach einer Stunde, ein anderer kam von einem kurzen Abstecher zu den Toiletten nicht mehr zurück. Ihre blauen Augen hatten sie dazu bewogen. In Elliott's Welt stellen die Braunäugigen die Mehrheit und sie haben die Macht. Blaulinge sind dumm, minderwertig, faul und sie stehlen. Um ihre Unterlegenheit noch zu betonen, müssen sie einen grünen Kragen tragen. Für Blauäugige ändern sich die Regeln ständig, je nach Belieben der Braunäugigen. Ein Blauäugiger, der den Workshop vorher verlassen hatte, versuchte, wieder hineinzukommen. Elliott bleibt eisern, er bleibt draußen. In der wirklichen Welt haben "people of colour" (ethnisch Diskriminierte) keine Möglichkeit, einfach hinauszugehen. Sie haben keine Wahl. Sie können ihre Farbe (ihren Kragen) nicht einfach ablegen.

Nehmt Euch Elliottīs Kinder vor

Elliott entwickelte dieses Verhaltenstraining 1968 nachdem Martin Luther King ermordet wurde. Als Lehrerin in Riceville, Iowa versuchte sie, ihren weißen SchülerInnen die Bedeutung von und den Grund für King's Tod zu erklären. Riceville war und ist bis heute eine weiße, christlich geprägte Stadt mit gerade 1.000 Einwohnern. Und, in seinem Selbstverständnis, frei von jedem Rassismus. Elliott über die damalige Übung - das ist kein Experiment, betont sie - bei der an einem Tag die braunäugigen Kinder, am nächsten die Blauäugigen privilegiert waren: "Ich wählte eine physische Eigentschaft, die nicht kontrolliert werden kann, und schrieb dieser Eigenschaft Negatives zu." Elliott entschied sich für die Augenfarbe, weil Augenfarbe für die Nazis im zweiten Weltkrieg eines der Kriterien war, ob jemand in die Gaskammern geschickt wurde, oder nicht. Braune Augen konnten fatal sein, selbst wenn man einen wunderschönen deutschen Namen hatte. "Ich hatte keine Ahnung, was passieren würde. Wenn ich damals gewußt hätte, welche Wirkung die Übung auf meine SchülerInnen und die ganze Gemeinde gehabt hat, hätte ich sie wahrscheinlich nicht durchgeführt." sagt Elliott. Als direktes Ergebnis des Erfolges der Übung wurden ihre vier Kinder ausgegrenzt, bespuckt und von ihren Lehrern, Klassenkameraden und den Eltern ihrer Klassenkameraden schlecht behandelt. "Aus: 'Nehmt Euch Elliottīs Kinder vor' wurde 'Nehmt Euch die Kinder dieses Negerliebchens vor'" erzählt Elliott.

Ausgegrenzt

Aber nicht nur ihre Kinder kriegten es ab. Einen Tag nach Elliottīs Auftritt in der äußerst populären Johnny Carson Show, hörten die Leute in Riceville auf, bei ihrem Vater einzukaufen. Sie befürchteten, daß Schwarze glauben könnten, daß alle Leute in Riceville so denken könnten wie Elliott, und sich Schwarze vorstellen könnten, daß das Leben in Riceville für sie angenehmer sein könnte und sie dorthin ziehen würden. Elliottīs Vater ging bankrott. Natürlich hatte das auch Einfluß auf die Familie. "Meine Mutter dachte, ich sei verrückt geworden und fragte mich: Kannst Du mit diesem Blödsinn nicht aufhören? Sie hat mir nie verziehen. Meine Brüder, beide self-made Millionäre und konservative Republikaner fragten sich, wo zum Teufel mein Problem liege." Ihr Vater hat sie jedoch niemals aufgehalten. Sein widersprüchliches Verhalten war es, daß Elliott zum "schwarzen" Schaf ihrer Familie machte. "Mein Vater sagte immer:'Lege niemals einen Stein in den Weg eines anderen' oder 'Gerechtigkeit wird Dich nie benachteiligen' oder 'eine gerechte Sache ist eine gute Sache'. Gleichzeitig hätte er seinen Töchtern niemals erlaubt, einen Schwarzen zu heiraten. Ich hielt das für falsch. Ich liebte meinen Vater abgöttisch. Es war eine Schande, daß er so voller Vorurteile steckte."

Position des Unterdrückten

Von 1968 bis 1984 führte Elliott die Braunäugig/Blauäugig-Übung mit Schulkindern durch. Sie war jedesmal wieder erstaunt über die so schrechlich gut funktionierenden Mechanismen. "Ich habe die Übung mal mit einer Gruppe lernbehinderter Kinder durchgeführt, die sonst nicht ohne zu stammeln lesen oder buchstabieren konnten. Die Braunäugigen konnten plötzlich Wörter buchstabieren, die sie nie vorher buchstabieren konnten. Andererseits hatte ich ein sehr cleveres Mädchen, das sehr gut multiplizieren konnte. Als die Blauäugigen in die Position der Unterlegenen kamen, fing sie an zu stottern und konnte nicht mehr rechnen. Und die Übung dauerte gerade mal zwei Stunden!"

Elliott versucht auf diese Weise zu verdeutlichen, wie 300 Jahre Unterdrückung ethnisch Diskriminierte beeinflußt haben. Seit 1984 gibt Jane eine Erwachsenen-Version der Braunäugig/Blauäugig-Übung in Firmen und staatlichen Einrichtungen; für 6000 US$ pro Tag. Als sie gebeten wurde in die Niederlande zu kommen, hat sie keinen Cent verlangt. Während ihres Aufenthaltes hat sie neun Personen darin ausgebildet, den Workshop auch in Europa anzubieten. Die Gruppe umfaßt Menschen aus verschiedenen Anti-Diskriminierungsbüros, von Schule Ohne Rassismus und einer Einrichtung in Deutschland. Ein Blauäugiger erzählte:"Obwohl ich genau wußte, was mich erwartet, war ich nach 15 Minuten völlig gestreßt. Niemand informiert dich über die Regeln, aber die ändern sich ja sowieso ständig. Man wird nervös, fühlt sich unter Druck und kann weder denken noch angemessen handeln."

Wirkung

Bei Klassentreffen mit Janes früheren SchülerInnen, die die Übung mitgemacht haben, zeigt sich, wie sehr der Workshop das Leben der TeilnehmerInnen beeinflußt. Und nicht nur ihr Leben, geben sie die gemachten Erfahrungen doch an ihre Kinder und die wieder an deren Kinder weiter.

Rassismus ist immer noch sehr lebendig und prägend in den Staaten, sagt Elliott. Sehr deutlich wurde das während des O.J. Simpson Falles. Elliott zu seinem Freispruch: "Es ging nicht so sehr um O.J. warum die Schwarzen froh waren, daß er freigesprochen wurde. Sie waren begeistert von der Tatsache, daß eine schwarze Berühmtheit erstmalig das System so ausgenutzt hatte, wie es Weiße immer zu ihrem Vorteil nutzten. Sie hielten O.J. sowieso mehr für einen Weißen. Er verhielt sich weiß, hatte weiße Freunde und weiße Sponsoren. Die Weißen jedoch sagten: 'O.J.'s einziger Fehler war, daß er dachte er wäre weiß, nur weil er Mitglied eines weißen Country-Clubs war!'."

Jane hält nichts davon, die Vereinigten Staaten als Schmelztigel zu betrachten "Es sollte eine Salatschüssel sein. So kann jeder seinen eigenen Geschmack und seine eigene Identität behalten und jeder hat gleichtberechtigt behandelt zu werden."

Machtstrukturen

Es erstaunte Elliott, daß die amerikanische Litanei der diskriminierenden Äußerungen wie: 'Schwarze sind verdächtig und laut' und 'Ich bin kein Rassist. Ich habe selbst schwarze Freunde' den schwarzen Teilnehmern im niederländischen Workshop sehr bekannt vorkamen. Während des Trainings kam ein surinamesischer Teilnehmer zu der bewegenden Feststellung, daß Diskriminierung eben kein Betriebsunfall ist, sondern gewollt: "Das hat System!"

Teilnehmer Kommissar Johan Dietz von der regionalen Polizeibehörde Amsterdam zeigte sich beeindruckt von dem Workshop:"Ich bin da zusammen mit einem Verhaltenstherapeuten hingegangen und wir fanden es beide unglaublich lehrreich. Sobald Du durch die Eingangstür kommst, passieren einem alle möglichen Dinge. Ich wollte mich Frau Elliott vorstellen. Raten Sie, was passierte. Sofort wurde mir klar, wie wenig man innerhalb eines Machtgefüges tun kann, wenn man nicht zu denen gehört, die die Macht haben. Innerhalb weniger Stunden fühlte mich wie eine Art ständiger Verlierer." Dietz überlegt, Elliott nochmal in die Niederlande einzuladen um Workshops an der Polizeiakademie durchzuführen. Zum Abschluß noch einmal Elliott: "Wir lernen rassistisch zu sein, deshalb können wir auch lernen nicht rassistisch zu sein. Rassismus ist nicht genetisch. Es hat nur zu tun mit Macht."

Übersetzung: Jürgen Schlicher